DIE ERSTEN SERIEN-LEICHTFLUGZEUGE NACH 1945
Bölkow beerbt Klemm

In dieser Serie stellen wir deutsche Sport- und Reiseflugzeuge von 1919 bis zur Gegenwart vor. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg war es vor allem die neu gegründete Firma von Ludwig Bölkow, die den Neuanfang im Leichtflugzeugbau wagte und bestand. Leichtflugzeuge mit dem Namen Bolkow gab es nur für einen relativ kurzen Zeitraum von 1959 bis 1972. Ludwig Bolkow war von 1939 bis Kriegsende bei Messerschmitt als Ingenieur tätig. Bereits am 1. Juni 1948 gründete er mit drei Mitarbeitern ein eigenes lngenieurbüro und schuf am 1. Mai 1956 die Firma Bolkow-Entwicklungen KG. Die neuen Werkstoffe Bereits 1954 wurde Ludwig Bolkow vom Sohn von Dr. Hanns Klemm, Hans-Jürgen Klemm, bezüglich der Wiederaufnahme der Produktion des SportfIugzeugs Klemm Kl 107 angesprochen. Er sagte zu und ab 1959 wurde nach dem Erstflug der A-Version am 4. September 1956 die dreisitzige Klemm Kl 107B in Holzbauweise mit dem Motor Lycoming 0-320 von 150 PS (110 kW) von der neu gegründeten Bolkow-Tochter Apparatebau Nabern GmbH in Serie gefertigt. Zuvor waren am 1. Mai 1959 vertragsgemafi alle Rechte an der Namensgebung und der Konstruktion von Klemm an Bolkow übergegangen. Auf der Internationalen Luftfahrtschau (ILA) 1959 in Hannover stand die Klemm Kl107B zum ersten Mal auf dem Stand von Bolkow — im Jahr zuvor besaß die Klemm-Flugzeuge GmbH Boblingen in Hannover noch einen eigenen Stand und verteilte Prospekte der Klemm Kl 107B. Trotz heftiger Proteste von Hans-Jürgen Klemm verschwand der Welt berühmte Name Klemm damit immer mehr in der Versenkung. Mit dem Erwerb der Rechte konnte Bolkow die KI107 weiter entwickeln. Die nächste Variante war die Bolkow-Klemm Kl107C, die gegenüber der B-Version ein breiteres Fahrwerk, einen breiteren Rumpf im Kabinenbereich, einen Verstellpropeller und als Sonderausstattung eine Vorrichtung für das Schleppen von Segelflugzeugen. Trotz aller Verbesserungen blieb der Verkauf der KI 107B mit 26 Exemplaren und der Kl 107C mit weiteren 29 Stück bis Anfang 1961 weit hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Hauptprobleme für den schlechten Absatz waren die Holzbauweise, das Spornrad und die enge Kabine, die bei Ausnutzung der drei Sitzplätze nur eine beschrankte Gepäckmitnahme erlaubte. An der Holzbauweise und dem Spornrad Iieß sich ohne größere technische Veränderungen nichts machen, aber die Kabine und Zuladung konnten verbessert werden. Das Flugzeugbauteam der Bolkow-Entwicklungen KG entwickelte aus der KI 107C 1958/59 einen Viersitzer mit stärkerer Motorisierung unter der Bezeichnung Der erste Prototyp KI 107D V-1 mit dem Sechs-Zylinder-Motor Lycoming O-360A mit 180 PS (132 kW) und dem Kennzeichen D-EGSA flog am 10. Oktober 1960 in Nabern zum ersten Mal. Im Mai 1961 wurde das Baumuster in Bolkow F207 umbenannt und schließlich ab Juli 1961 mit der endgültigen Bezeichnung Bolkow Bo 207 V-1 versehen. Schon 1961 nahmen die V-2 D-EGSE und das erste Serienmodell Bolkow F207 D-ECHE als 114 und 113 am Deutschlandflug teil. Dabei konnte die Besatzung Selk/Schnabel mit der D-ESGE den Sieg in der Gruppe I erzielen. Das war einer gelungener Einstand für das neue Bölkow-Flugzeug. Die Bölkow 207 war eigentlich keine Weiterentwicklung der KI 107, sondern schon eher eine Neukonstruktion. Der Rumpf war im Kabinenbereich verbreitert worden und hatte zudem eine vergr6I5er-
te Kabinenhaube mit grofier Panorama-
scheibe erhalten, deren seitliche Turen
leicht nach oben geoffnet werden konn-
ten und somit einen komfortablen Ein-
und Ausstieg ermoglichten. Die einhoImi-
gen Tragflachen waren nun durchgehend
und trugen auf beiden Seiten ie einen
Kraftstofftank von 100 Liter Fassungsver-
mogen. Die Kabine innen und das Instru-
mentenbrett wurden dem Zeitgeschmack
entsprechend neu gestaltet. Aufierdem
wurden als Innovation im Flugzeugbau in
Deutschland viele Bauteile wie Motor-
haube, Kabinenhaubenrahmen, Fahr-
werksverkleidungen, TragfIachen-Rumpf-
Ubergéinge und Randkappen als
Kunststoffteile aus glasfaserverstéirktem
Epoxydharz hergestellt.
Mit180 PS (132 kW) und Verstellpro-
peller erreichte die Bo 207 eine Reise-
geschwindigkeit von 235 km/h. Es lieI5en
sich maximal 1300 km Reichweite erzie~
len, wobei sich vier Personen mit ausrei-
chend Gepack befordern liefien.
Die Produktion wurde 1961 im neu-
en Bolkow-Werk Laupheim eingerichtet
und Anfang 1962 aufgenommen. Bis
1966 wurden dort 92 Bo 207 gebaut —
im Vergleich zur Konkurrenz aus USA
eine relativ geringe Stiickzahl. Die Bo
207 war und blieb aber ijber viele Iahre
der erste und einzige Reiseviersitzer aus
deutscher Produktion nach dem Zweiten
Weltkrieg.
Vielversprechend: Der lunior
Der schwedische Ingenieur Bjorn An-
dreasson hatte von 1956 bis 1958 in den
USA ein kleines zweisitziges GanzmetaII-
Sportflugzeug unter der Bezeichnung BA
7 entwickelt und gebaut. Nach seiner
Rijckkehr nach Schweden lieI3 er seinen
Die D-ECHE ist das erste Serienmodell der Bolkow F207, hier mit Startnummer 113 beim Deutschlandflug 1961 in Bonn-Hangelar. Entwurf von der Malmo Flyindustri unter der Bezeichnung MFI 9 mit dem Motor Continental 0-200 von 100 PS (74 kW) professionell umkonstruieren. Am 17. Mai 1961fand der Erstflug des Prototyps MFI- 9 junior mit dem Kennzeichen SE-CPF in Malmo-Bulltofta statt. Unmittelbar da- nach wurde der Junior auf dem Aéro Sa- Ion In Paris 1961 ausgestellt. Ludwig Bol- kow war begeistert. Nachdem ihm die weltweite Nachbaulizenz (aufier den skandinavischen Landern und Brasilien) und zudem der Prototyp angeboten wor- den war, unterschrieb Bolkow am 3. Juli 1961 einen Lizenzvertrag. Seine Konst- rukteure unter der Leitung von Hermann Mylius arbeiteten gerade in Ottobrunn an einem zweisitzigen Muster in Metallaus- fiihrung fur Schulung und Clubbetrieb als Ergéinzung zur F 207. In Rekordzeit wurde stattdessen die schwedische KonstruIgti- on modifiziert — gerades statt geknick- tem Bugfahrwerk, neues Ruder, mehr Ell- bogenfreiheit. Im Ianuar 1962 traf der Prototyp der MFI 9 endlich in Deutsch- land ein, allerdings wegen SchwIerigkei- ten bei der deutschen Zulassung nur mit schwedischem Experimental-Kennzei- chen SE-CPF. Nach dem Umbau zur Bo 208 mit dem vorlaufigen Kennzeichen D- EGTI ftihrte Klaus Boysen am 30. Marz 1962 den Erstflug durch. Nur fi1nfWochen spater federte das Bugfahrwerk beim Rollen aufunebenem Grund in Peine nach der Landung bis zum Anschlag ein und brach ab. Daraufhin wurde die D-EGTI nicht wieder repariert und in Laupheim demontiert. ‘ Ende April 1962 wurden zwei Flug- zeuge der intern als Bolkow Bo 208A be- zeichneten junior auf der ILA Hannover ausgestelltz die D-EHKO als VorfLIhrma- schine und die noch nicht flugfahige D- ELMY. Am 6. Mai 1962 geriet die D-EHKO wahrend der ILA beim Vorfuhrungsflug in die Wirbelschleppe eines zuvor gestarte- ten Verkehrsflugzeugs, schmierte ab und schlug in unmittelbarer Nahe von Zu- schauern auf. Dabei wurden der Passa- gier getotet und der Pilot schwer verletzt. Kein gutes Omen ftir ein neues Bolkow- Modelll Trotzdem wurde der fur einen Verkaufspreis von 28 000 DM in der Grundversion angebotene Junior mit 18 Festbestellungen zum grofiten Verkaufs- erfolg der ILA. Nach der Musterzulassung des Junior im November 1962 wurde das erste Fer- tigungslos fur das Werk Laupheim freige- geben. Wegen Engpassen bei den ZuIie- ferern verzogerte sich die Auslieferung der ersten Serienmaschinen Bo 208A bis Februar1963. Im April 1963 wurde derJu- nior mit einer um 60 cm vergrofierten Spannweite als Bo 208B fiir den SegeI- flugzeugschlepp zugelassen. Kaufer des Junior beméingelten die zu enge Kabine, den winzigen Gepackraum und das zu schwach ausgelegte Bugrad, welches beim schnellen Rollen auf uneb- nen Grasplatzen leicht abbrach und zur Beschadigung des Propellers und des Eine der letzten noch fliegenden Bo 208C tréigt die Werk-Nr. 695 und die Zulassung D-EASJ.
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DEHLA,E/IDS (2), Schn
F0 tos
SERIEZ DEUTSCHE SPORT- UND
Motors fiihrte — ein teurer Folgeschaden.
Aufierdem war die Landegeschwindigkeit
for die Flugzeuggrofie relativ hoch und
ftihrte zu vielen Unfallen. Alle diese Be-
anstandungen verschwanden mit der
Baureihe Bo 208C. Die Kabine war brei-
ter, der Gepackraum grofier, die Sitze
nach hinten versetzt, Instrumentenbrett
und Belllftung verbessert, der Tank auf
100 Liter erweitert (Version C-1) und das
Bugrad fiir die hohere Abflugmasse von
625 kg verstarkt. Die Landegeschwindig-
keit konnte durch eine einfache Anderung
am Inneren Tragflachenbereich deutlich
gesenkt werden. Die alteren Iunioren der
Ausfilhrungen A und B wurden fast alle
entsprechend nachgeriistet.
Insgesamt wurden in Ottobrunn und
Laupheim bis 1969 210 Bo 208 gebaut,
darunter 64 Junior A und B und 126 Juni-
or C sowie 20 Junior C-1. Die MFI 9 lief in
Schweden 75 Mal vom Band und wurde
zur MFI 15 und MFI 17 weiter entwickelt,
von denen bis 1989 Uber 300 Stock
entstanden.
Mylius geht eigene Wege
Angesichts der seit 1965 sinkenden
Nachfrage am Junior hatte Hermann My-
lius, Leiter der Leichtflugzeugkonstruk-
tion bei Bolkow, bereits eine verbesser-
te Version entwickelt und Ende 1965 der
Geschaftsleitung vorgelegt. Da Ludwig
Bolkow nicht mehrvoll hinterdem Leicht-
flugzeugbau stand — er hatte groféere
Plane, vor allem den Hubschrauber Bo
105 betreffend —, erhielt Mylius eine
Absage. Daher grtlndete er am 6. Sep-
tember 1967 zusammen mit anderen
Bolkow-Mitarbeitern die Entwicklungs-
gemeinschaft Leichtflugzeuge in Brun-
nthal, um das Flugzeugmuster MHK 101
— MHK steht for Mylius, Heynen und
Krauss — als Venture serienreif zu ma-
chen. Die Entwicklungsarbeiten wurden
auch weiterhin von Bolkow unterstiitzt.
Das zweisitzige Sportflugzeug aus Ganz-
metall hatte ein einziehbares Bugrad,
eine starre Luftschraube und Klapptrag-
fléichen, um den Transport des Flug-
zeugs zu erleichtern und den Platzbe-
darfzu verringern. Der Einstiegskomfort
und der Gepackraum waren gegeniiber
dem Junior deutlich verbessert. Am 22.
Dezember 1967 konnte Herrmann Mylius
mit der MHK 101V-0 mit dem Kennzei-
chen D-EMHK in Laupheim zum Erstflug
starten, wobei als Motor ein Lycoming O-
235-C2A mit 115 PS (85 kW) eingebaut
war. Die Flugerprobung verlief problem-
los, so dass die MHK 101 im Mai 1968
aufveranlassungvon Ludwig Bolkow bei
der ILA in Hannover auf dem Stand der
Bolkow GmbH ausgestellt werden konn-
I 60 I FUEGERREVUE I 06-2009 I
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REISEFLUGZEUGE (3) ~
Die MHK 101 ging 1969 als Bo 209 Monsun in die Serie. Hier die V-0 D-EMHK, die zumeist
von Hermann Mylius selbst erprobt wurde.
te, inzwischen jedoch mit dem Motor Ly-
coming O-320-B 150 PS (110 kW) nach-
gerilstet. Im April 1969 — inzwischen
erneut umgertlstet auf den Motor Lyco-
ming IO-320-D1A von 160 PS (118 kW)
und verstellbarer Luftschraube, aber mit
starrem Bugrad und weiteren Verbesse-
rungen – wurde die MHK 101 in Bolkow
Bo 209V-O umbenannt. Eigentiimer war
jetzt die Messerschmitt-Bolkow-Blohm
GmbH (MBB) mit Sitz in Laupheim. Bol-
kow hatte sich nach langem Zogern for
das Muster erwarmen lassen und die Se-
rienfertigung mit dem Namen Monsun
als Nachfolger des Junior genehmigt. Im
Mai 1969 wurde der Monsun beim Air
Market in Egelsbach erstmals vorgefohrt
und im Juni 1969 beim Aérosalon Paris
prasentiert. 1970 war der Monsun auf
der ILA Hannover zu sehen. MBB konnte
einen grofien Verkaufserfolg mit 57 Be-
stellungen verbuchen. Die Serienferti-
gung in Laupheim lief 1970 mit monat—
lich zehn Flugzeugen an, wobei mehrere
Varianten mit Motoren zwischen 125 und
160 PS, starrem oder einziehbarem Bug-
rad angeboten wurden.
Im Februar 1972 entschied sich die
MBB-Geschaiftsftihrung nach 102 Exem-
plaren zur Einstellung der Produktion,
was auf allgemeines Unverstandnis
stiefi, da angeblich 275 Bestellungen
vorlagen. Verantwortlich for diese Ent-
scheidungwaren andauernde wirtschaft-
liche Verluste beim Leichtflugzeugbau.
Spatere Versuche, den Bau des Monsun
wieder aufzunehmen, scheiterten an der
Finanzierung.
Bereits 1970 wollte Hermann Mylius
aus dem Monsun einen Einsitzer for
Leistungskunstflug entwickeln. Unter
Verwendung vieler Bo-209-Bauteile ent-
stand eine kostengtinstige Losung unter
der Bezeichnung Mylius My 102 Torna-
do als einsitziges Kunstflugzeug mit
Monsun-Tragflachen, Motor Lycoming
AIO-360-B1B 200 PS (147 kW) und Drei-
Blatt-Luftschraube. Die als Hobby be-
gonnene Weiterentwicklung der Bo 209
als MHK 102, von der Mylius hoffte, dass
sie Bolkow wie die MHK 101/Bo 209
ebenso als Bo 210 Libernehmen wilrde,
IieI3 sich nicht mehr realisieren, da MBB
kein Interesse mehr an Leichtflugzeugen
zeigte. Die MHK 102V-1 mit dem Kenn-
zeichen D-EMYS machte am 7. Juli 1973
ihren Erstflug in Neubiberg. Kurz danach
nahm sie erfolgreich an der Deutschen
Kunstflug-Meisterschaft in Marl teil.
Mylius baute spéiter noch einen
zweiten Tornado mit dickerem Tragfla-
chenprofil. Die V-2 mit dem Kennzeichen
D-EMYM machte ihren Erstflug am 3. Ap-
ril 1984 in Neubiberg. Bis Mai 1997 wur-
de der Tornado komplett iiberarbeitet
und als Musterflugzeug for Serienbau
durch Mylius Flugzeugwerk GmbH & Co
KG, Bitburg, vorgemerkt, die vom Sohn
des inzwischen verstorbenen Hermann
Mylius, Albert Mylius gegrllindet worden
war. 2001 wurde das Muster wegen des
Konkurses der Firma und der Unverkauf-
lichkeit des Baumusters aus dem Luft-
fahrtregister geloscht.
Zwei weitere Flugzeuge hat Albert
Mylius in seiner Firma noch entwickelt.
1997 entstand die Mylius My 103 Mist-
ral als zweisitzige Weiterentwicklung
der My 102 und Nachfolger der Bo 209.
Das Muster war seit1989im Bau, wurde
jedoch durch die Krankheit und den Tod
des Vaters verzogert und dann doch
noch von Sohn Albert realisiert. Der Mis-
tral mit dem Kennzeichen D-ETMY hatte
einen Motor Lycoming AEIO-360-A1E von
200 PS (147 kW) und flog erstmals am

  1. Mai 1998 in Bitburg. Eine Vermark-
    tung des Mistral war ebenso wie beim
    Tornado nicht zu verwirklichen. Mylius
    baute noch ein zweites Muster des Mis-
    tral mit dem vorlaufigen Kennzeichen D-
    ENMY. Die Weiterentwicklung der My 103
    als viersitzige My 104 Passat mit verIan-
    gertem Rumpf, groBererSpannweite und
    komplettem Einziehfahrwerk blieb we-
    gen des inzwischen eingetretenen Kon-
    kurses nur eine Studie.
    I HEINZ-DIETER SCHNEIDER